Sonderbetriebsarten
Sonderbetriebsarten
Neue Möglichkeiten für Konstrukteure und Maschinenbediener
Wie erleichtert man dem Einrichter oder dem Bediener einer Maschine die Arbeit und gewährleistet, dass er beim Einrichten oder nach einer Formatverstellung einerseits sicher arbeitet, andererseits aber beste Sicht auf den Prozess hat und notfalls eingreifen kann? Die neue Maschinenrichtlinie schafft – unter genau definierten Bedingungen – die Voraussetzung für die Nutzung von Sonderbetriebsarten: eine Möglichkeit, die der Konstrukteur in Anspruch nehmen sollte. Frank Schmidt
Üblicherweise sind für eine Maschine zwei Betriebsarten vorgesehen, die in den einschlägigen C-Normen wie der DIN EN 12417 definiert sind. Während die Produktion, das heißt der eigentliche Bestimmungszweck der Maschine, im Automatikbetrieb bei geschlossener Schutzeinrichtung erfolgt, gibt es für Einstell- und Justierarbeiten nach einem Werkstückwechsel oder einer Formatverstellung den Einrichtbetrieb. Hier kann der Bediener bei geöffneter Schutztür, deutlich verlangsamter Geschwindigkeit und weiteren Sicherheitsmaßnahmen in den Prozess eingreifen, um die Maschine für den Automatikbetrieb vorzubereiten. Die meisten Maschinen, an denen Einrichtarbeiten zu erledigen sind, bieten diese Möglichkeit an.
Zwei Betriebsarten sind nicht genug
Die Praxis zeigte jedoch, dass diese Auswahl für viele Maschinenarten und für bestimmte Aufgaben des Einrichtens und Parametrierens nicht ausreichend waren – vor allem bei Bearbeitungszentren. Die Hersteller und mehr noch die Anwender dieser Maschinen wünschten sich weitergehende Möglichkeiten. Die Normungsgremien haben sich daraufhin mit diesem Wunsch befasst und entsprechende Regelungen getroffen: Eine Ergänzung (Amendment 1:2006) der DIN EN 12417 („Werkzeugmaschinen – Bearbeitungszentren“; deutsche Fassung) sieht als weitere Betriebsart den „Erweiterten manuellen Eingriff“ vor, der auch als Betriebsart 3 bezeichnet wird.
Gedeckt wird deren Einsatz durch einen Passus im Anhang I der neuen Maschinenrichtlinie (2006/42/EG; 1.2.5: „Wahl der Steuerungs- und Betriebsarten“): Wenn die für die vorhandenen Betriebsarten genannten Voraussetzungen betrieblich nicht anwendbar sind, kann man auch mit anderen Schutzmaßnahmen, die über den Steuerungs- oder Betriebsartenwahlschalter ausgelöst werden, einen sicheren Arbeitsbereich gewährleisten.
Betriebsart 3: Erweitertermanueller Eingriff
In der Betriebsart 3 kann der Anwender – sofern er entsprechend geschult und unterwiesen wurde – die Maschine bei geöffneter Schutztür betreiben. Ihm steht dann eine reduzierte Auswahl an Maschinenfunktionen zur Verfügung, die er nur aktivieren kann, wenn er einen Zustimmschalter am Handbediengerät gedrückt hält. Die Geschwindigkeit der gefahrbringenden Bewegungen ist zwar reduziert, aber höher als in Betriebsart 2, und automatische Zuführungen für den Werkstück- oder Werkzeugwechsel sind nicht in Betrieb.
Auf diese Weise kann der Bediener also einzelne Werkstücke mit der Maschine bearbeiten, dabei den Prozess verfolgen und die Maschinenfunktionen ohne eine Sichtbehinderung durch die trennende Schutzeinrichtung einstellen. Da er bei diesen Aufgaben mit einer Hand den Zustimmschalter gedrückt halten muss und mit der anderen die Bedienheit der Maschine betätigt, ist gewährleistet, dass er nicht in den Gefahrenbereich greift. Auch die vorgeschriebene Schulung und Unterweisung schärft das Risikobewusstsein.
Nicht alle Wünsche erfüllt
Damit war schon eine wesentliche Erleichterung für die Bediener erreicht, ohne das Sicherheitsniveau zu gefährden. Aber es gab noch immer Wünsche der Maschinenhersteller und -betreiber, die durch die Betriebsart 3 nicht abgedeckt wurden. Genauer gesagt: Bei der Anwendung stellte sich heraus, dass es bei bestimmten Einsatzfällen noch immer zu Problemen kam – zum Beispiel wenn der Bediener eines großen Bearbeitungszentrums einen verdeckten Referenzpunkt anfahren möchte oder wenn er die Maschine für Hinterschneidungen am Werkstück einrichtet.
In diesen Fällen kann der zu beobachtende Prozess länger andauern. Der Bediener aber muss den Zustimmschalter dauerhaft gedrückt halten und es ist bei den realistischen Zeiträumen für die Einrichtarbeiten nicht ausgeschlossen, dass seine Hand vom Zustimmschalter abrutscht oder durch das dauerhafte Drücken verkrampft. Dann wird die Bearbeitung unterbrochen, und es kann zu Störungen oder Fehlern am Werkzeug kommen. Darüber hinaus ist es gerade bei hochwertigen Bearbeitungsvorgängen und bei der Hochgeschwindigkeitsbearbeitung nicht sinnvoll, die Parametrierung bei reduzierter Geschwindigkeit durchzuführen: Diese Prozesse sind oft auf definierte Geschwindigkeiten angewiesen. Last but not least braucht der Bediener bei der Vorbereitung komplexerer Bearbeitungsvorgänge oft beide Hände – zum Beispiel wenn er den Anstellwinkel des Werkzeugs und zugleich die Verfahrgeschwindigkeit einstellt. Dann bleibt keine Hand mehr frei, um den Zustimmschalter gedrückt zu halten.
Betriebsart 4: Prozessbeobachtung
Auf der Basis dieser Überlegungen und Einwände aus der Sicht von Herstellern und Anwendern haben sich die gesetzgeberischen Gremien darauf geeinigt, eine zusätzliche Betriebsart zu akzeptieren, sofern entsprechende Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden. Diese – vierte – Betriebsart wird als „Prozessbeobachtung“ definiert, und sie erlaubt den Betrieb der Maschine bei geöffneter Schutztür, ohne dass man einen Zustimmschalter gedrückt halten muss.
Die Betriebsart 4 wird in den Normen noch nicht behandelt. Jedoch gibt es ein Dokument des Fachausschusses „Maschinenbau, Fertigungssysteme und Stahlbau“ der Metall-BG Nord-Süd, das die Rahmenbedingungen für die Anwendung der neuen Betriebsart absteckt.
Unterschiede zwischenBetriebsart 3 und 4
So ist zum Beispiel ein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Betriebsarten 3 und 4, dass es in Betriebsart 3 zwar eine (im Vergleich zu Betriebsart 2) erweiterte, aber dennoch absolute Höchstgrenze für Drehzahlen und Vorschubgeschwindigkeiten gibt, während für die Betriebsart 4 die maximalen Grenzwerte von den Notwendigkeiten des Prozesses bestimmt werden und deshalb auch höher liegen können. Man spricht hier von der prozessnotwendigen Geschwindigkeit.
Zu den Sicherheitsmaßnahmen gehört neben der Abschaltung der Automatikfunktionen wie des automatischen Werkzeugwechsels und sicher überwachte reduzierte Geschwindigkeiten auch die Tatsache, dass nur besonders geschultes Personal zur Anwahl dieser Betriebsart befähigt ist. Dies muss auch durch eine separate Anwahl dieser Betriebsart, etwa mit einem zweiten Schlüsselwahlschalter, gewährleistet sein. Zudem darf diese Betriebsart nur gewählt werden, wenn es dafür zwingende technologische Notwendigkeiten gibt, wenn die jeweilige Aufgabenstellung also mit den Betriebsarten 1 bis 3 nicht zufriedenstellend zu erfüllen ist. Dann muss man, so lautet die Sprachregelung, die „Unvermeidlichkeit“ dieser Betriebsart nachweisen.
Der Betreiber steht in der Pflicht
Die Betriebsart 4 nimmt somit auch den Maschinenbetreiber in die Pflicht – und das ist ganz im Sinne der Maschinenrichtlinie. Die zusätzliche Betriebsart gibt dem geschulten Bediener die Möglichkeit, im unmittelbaren Blickfeld des Prozesses, zum Beispiel mit einem Handbediengerät, die Werkzeuge einzustellen oder zu verfolgen, ob die Bearbeitungsparameter stimmen.
Elektronischer Schlüssel für einzelne Betriebsarten
Für die praktische Umsetzung dieser Regelungen hat die Schmersal Gruppe einen neuen Schlüsselwahlschalter entwickelt, der über einen zusätzlichen RFID-Transponder verfügt. Der Transponder erlaubt die Umschaltung der Maschine vom Automatikbetrieb in eine Sonderbetriebsart. Die Berechtigung zur Umschaltung kann dabei individuell über die RFID-Codierung definiert werden. So kann der eine Bediener einen Schlüssel benutzen, der die Umschaltung in den Einrichtbetrieb (Betriebsart 3) erlaubt, während ein anderer Bediener, der entsprechend geschult und unterwiesen wurde, die Maschine mit seinem Schlüssel auch in Betriebsart 4 betreiben darf. Weitere Berechtigungsstufen können ebenfalls über den Schlüsselwahlschalter vergeben werden. Dieser elektronische Schlüssel ist somit ein einfaches und sicheres System, das eine differenzierte Vergabe von Zugangsberechtigungen erlaubt.
Quelle :
http://www.sui24.net/pi/index.php?StoryID=105&articleID=122542