Harmonisierte Normen freier Zugang? Kleine Aktualisierung

marcusscholle

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Hallo zusammen,

schon etwas länger her, dass ich hier was größeres gepostet habe, das wird aber vielleicht doch den ein oder anderen interessieren. Ich habe mal ein paar Folien angehängt (neutral gestaltet, falls das ein Problem ist, bitte ansprechen), die aktuelle Situationen beim "freien Zugang zu harmonisierten Normen" etwas klarstellen sollen.

Letzter Beitrag hier: https://www.sps-forum.de/threads/harmonisierte-normen-din-portal-verfügbar.116540/

Zuvor auch: https://www.sps-forum.de/threads/tja-harmonisierte-normen-wohl-bald-frei-verfügbar.114466/

Zusammengefasst kann man grob sagen:
  1. Wer deutsche Ausgaben von harmonisierten Normen lesen will, kann das grundsätzlich hier tun: https://www.harmonisierte-normen-in-europa.de/de
    1. Dort sind aber nur bestimmte Normen einsehbar, bei weitem nicht alle.
    2. Besonders keine europäischen Ausgaben von ISO/IEC-Normen (wie z.B. EN (IEC) 60204-1:2018)
    3. Das Portal listet die Normen unabhängig vom zugrundeliegenden Rechtsakt. Hier sind also auch Sachen zu Spielzeug, Haushaltsgeräten usw. dabei.
    4. Es ist keine Filterung oder Suche nach Dokumenten möglich.
    5. Grundsätzlich kann man die URL etwas anpassen, wenn man die grobe Seite seiner Norm weiß. Ändert sich aber natürlich hin und wieder. Ansonsten darf man sich mühsam durchklicken.
    6. Das Setzen von Lesezeichen geht so nicht, da das regelmäßig zurückgesetzt wird (scheint zumindest so).
    7. DIN erklärt nicht wirklich, wie bestimmt wird, welche Normen denn nun verfügbar sind und welche nicht.
    8. Selbstverständlich kein Download möglich. Vor allem aber auch keine Suche im Dokument.
  2. Für harmonisierte Normen, die dort nicht verfügbar sind, gibt es auch Möglichkeiten.
    1. Allen voran das EASE-Portal der Europäischen Kommission: https://ec.europa.eu/growth/tools-databases/enorm/access_to_harmonised_standards
    2. Ich würde diesen Weg empfehlen, benötigt aber eine Registrierung und eventuell auch die EU-eigene App zum 2FA.
    3. Danach kann man Anträge zur Dokumenteneinsicht einreichen (basierend auf Verordnung 1025/2010).
    4. Ich habe das mal testweise für einige harmonisierte Normen aus dem Baubereich (EN und EN ISO), B-Normen zu Oberflächentemperaturen und zur aktuellen C-Norm für AGVs/AMRs gemacht.
    5. Jede Norm wird einzeln geprüft und für den einzelnen Nutzer freigegeben. Will man das für mehrere haben, müsste jeder separat einen Antrag stellen...
    6. Dauer ist etwas unterschiedlich, mindestens von 4 Wochen würde ich aber ausgehen.
    7. Vor jedem Betrachten einer Norm muss ein expliziter Hinweis zum Copyright bestätigt werden.
    8. Auch hier: Kein Download (erwartbar), keine Suche im Dokument.
    9. Nur die ISO-Normen wurden mir zur Verfügung gestellt. Für die EN-Normen (EN 474-1/13) verweist man auf die nationalen Normenportale.
    10. Eine Übersicht über die nationalen Normenportale lässt sich hier finden: https://harmonized.standards.eu/
    11. Falls man wirklich eine englischsprachige Ausgabe einer harmonisierten EN-Norm lesen will, wird man z.B. bei British Standards nicht wirklich fündig. Es gibt da aber ja vielleicht Länder in Osteuropa, die kaum eine Norm in eine nationale Sprachfassung bringen und dann die EN-Ausgabe national übernehmen...

Ganz wichtig: Aktuell wird GAR KEINE neue ISO/IEC-Norm dazukommen (harmonisiert werden), da man aktuell abwartet, was sich bei der Klage der beiden gegen die Europäische Kommission ergibt (Link in den Slides). Das ist für uns besonders schade in Bezug auf Normen wie die ISO 14119:2024, ISO 13855:2024, ISO 10218-1/2:2025 (ja, der HAS-Consultant ist hier kein Problem mehr), usw....

An die Auswirkung mit kommenden Ausgaben von ISO 12100 und ISO 13849-2 (ja, Glaskugel sagt mir, die wird weiter harmonisiert bleiben...) auch und gerade im Bezug zur Maschinenverordnung will ich im Moment mal gar nicht denken.

Aber auch mal was Gutes: Die Arbeiten zum Leitfaden zur MVO gehen etwas voran... 😀
 

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Ja – es scheint offensichtlich.
Das bisherige Geschäftsmodell ist in Gefahr.
Mit diesen künstlichen Hürden soll es verteidigt werden.
 
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Erst ab 2027. Das ist eine Stichtagsregelung.

Jain, ganz so stimmt das nicht. Die "Stichtagsregelung", die ja immer wieder genannt wird, bezieht sich auf das folgende Thema:
  • Am (bis zum) 19.01.2027 muss die Konformitätserklärung nach der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG ausgestellt werden.
  • Am (ab dem) 20.01.2027 muss die Konformitätserklärung nach der Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 ausgestellt werden.
Da es hier keine Übergangsfrist gibt bzw. man das in den Verhandlungen eben nicht erreichen konnte, spricht man vom Stichtag.

Eine ganz andere Frage ist hingegen, ob man vor dem 20.01.2027 bereits die Maschinenverordnung anwenden kann. Siehe folgend.

Wenn die technischen Dokumente an die MVO angepasst sind, kann man die MVO schon nutzen bzw. in der Konformitätserklärung angeben. Oder erst ab 2027?

Also prinzipiell: Zum heutigen Zeitpunkt und bis zum 19.01.2027 muss die Konformitätserklärung nach der MRL ausgestellt sein. Es macht auch keinen Sinn, darauf auf die Maschinenverordnung zu verweisen. Ihr dürft auch aktuell nichts anwenden, was sich formell mit der Maschinenverordnung widersprechen würde. Grundsätzlich wäre es aber rechtlich nicht zu beanstanden, wenn ich Sachen anwende, die die Maschinenrichtlinie nicht kennt, mit der Maschinenverordnung aber eben kommen. Das Thema der "Wesentlichen Veränderung" wäre so ein klassisches Beispiel - siehe Artikel 3, Punkt 16 der MVO.

Grundsätzlich wäre es demnach auch nicht zu beanstanden, wenn ich aktuell zusätzlich zur Konformitätserklärung nach der Maschinenrichtlinie auch eine zur Maschinenverordnung ausstelle. Ob ich das nun konform mit der MVO schon (sinnvoll) kann, ist allerdings eine ganz andere Frage. Es würde ja nicht reichen, nur die Doku an die Anforderungen der MVO angepasst zu haben, es müsste alles passen.

Zu Eurer Doku wäre ich ohnehin etwas skeptisch, ob die wirklich schon passt (nicht falsch verstehen). Es gibt aktuell eine neue Ausgabe der ISO 20607, die sich in Bearbeitung befindet. Dort drin werden z.B. auch Festlegungen zu digitalen Unterlagen sein - leider lässt sich vermutlich nicht Artikel 10 (7) der Maschinenverordnung referenzieren in der Norm, da der Standardisierungsauftrag der Kommission das eben so nicht zulässt (nur für den Anhang III wurde das in Auftrag gegeben). Es gibt aktuell dann auch keine einzige harmonisierte Norm unter der MVO. Nach der Kommission müssten aber eigentlich bis 20.01.2026 alle erarbeitet sein. Vollkommener Unsinn, selbst die ISO 12100 wird das nicht schaffen. Datum kann ich vielleicht später mal raussuchen.

Den Entwurf gibts ja beim DIN, kostet halt. Aber grundsätzlich würde ich zum Beispiel Angaben zur Rettung von Personen (5.2.2.3 im Entwurf), Steuer- und Bedienelementen (5.2.3 f)) und einiges weiteres. Zudem könnten die Ausschlüsse im Scope interessant werden (kein Lärm, keine Vibrationen, keine Cybersecurity, keine KI), wenn sie doch allgemeingültig sein soll. Zumindest kann ich mir das bei den HAS-Consultants vorstellen...

 
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Es gibt aktuell dann auch keine einzige harmonisierte Norm unter der MVO.

Vielen Dank für die interessante Info und Antwort.

Ich finde diesen Satz krass! Ist das wirklich so? Trotzdem denke ich, dass die Harmonisierung von 99 % der Normen sollte "schnell und einfach" sein.

Gibt es schon einen Link, wo die harmonisierten Normen unter der Maschinenverordnung gelistet werden sollten?
 
Ich finde diesen Satz krass! Ist das wirklich so? Trotzdem denke ich, dass die Harmonisierung von 99 % der Normen sollte "schnell und einfach" sein.
  • Naja, es gibt neue GSA (Gesundheitsschutzanforderungen) in der MVO.
  • Damit muss - formell zumindest - für jede einzelne Norm geprüft werden, ob sie diese Anforderungen denn auch noch ab 2027 erfüllt.
  • Nun muss man wissen, dass wir unter der MRL eine hohe dreistellige Anzahl an harmonisierten Normen haben. Der letzte "große" Durchführungsbeschluss aus 2023 hatte alleine mehr als 800 gelistet. Siehe unten zu deiner zweiten Frage dazu nochmal.
  • Für aktuell unter der MRL harmonisierte Normen vom Typ A (da gibts nur zwei, ISO 12100 und EN 1127-2*) und B (z.B. ISO 13849, aber auch EN (IEC) 60204) wurde eine Abweichungsanalyse durchgeführt. Bei C-Normen sieht das leider sehr individuell aus (habe ich keinen Überblick drüber).
  • Die Kommission hatte angenommen, dass 80-90% der Normen "einfach so" übernommen werden können. Hätte man gleich wissen können, dass das so nicht funktioniert...
  • Auch für die Art und Weise wie Normen geschrieben werden, gibt es Leitfäden. Besonders relevant ist im Safety-Bereich hier etwa der Guide 78 von ISO (diese Guides kann man frei einsehen, wenn man danach sucht).
  • Basierend auf solchen Leitfäden kann man auch herauslesen, dass undatierte Referenzen inzwischen unüblich sind und gerade bei Anforderungen (EN: "shall", DE: "muss") ungern gesehen werden (auch von den HAS-Consultants). Das macht die Erarbeitung von Normen nicht einfacher. Fast jede andere Norm wird ja irgendwie auf die ISO 12100 verweisen (gerade eben C-Normen für Maschinentypen, z.B. eben die ISO 10218-Serie für Roboter).
  • Es war abzusehen, dass man bei den Normen priorisiert. Auf die ISO 12100 wird eben mehr geachtet werden als auf irgendeine "obskure" C-Norm. Selbst wenn die für einen Maschinenbauer vielleicht das einzige Geschäft darstellt.
  • Plan B für sehr viele Normen, die am 20.01.2027 eben nicht fertig sind absehbar: Listung im Amtsblatt und damit Harmonisierung wie vorliegend, aber Ausschluss bestimmter Anforderungen, gerade eben dann der neuen abweichenden Anforderungen. Man kann sich das aktuell im Durchführungsbeschluss 2023/1586 schon mal exemplarisch bei EN 15194 (Pedelecs, Zeile 495 in Teil 3). Dann aber eben vermutlich deutlich häufiger.

Gibt es schon einen Link, wo die harmonisierten Normen unter der Maschinenverordnung gelistet werden sollten?

Nicht anders wie auch aktuell: Listung im Amtsblatt mit individuellen Durchführungsbeschlüssen. Mit einiger zeitlicher Verzögerung (in der Vergangenheit einige Tage bis wenige Wochen üblicherweise), sollten die Veröffentlichungen dann auch auf der Informationsseite der Kommission zu Maschinen aufgeführt werden: https://single-market-economy.ec.eu...tandards/harmonised-standards/machinery-md_en

Dort sieht man dann auch die Durchführungsbeschlüsse aktuell unter der Maschinenrichtlinie. Die Maschinenverordnung ist auch als zweiter Rechtstext weiter oben aufgeführt. Die Verfahrensweise mit dem "gestaffelten" Aufführen eines grundlegenden Durchführungsbeschlusses kombiniert mit "Ergänzungen" wird sich erfahrungsgemäß nicht ändern. Vereinfacht das Lesen natürlich nicht unbedingt (das haben wir selbst beim eigentlichen Gesetzestext aber schon).

Die "Summary lists" am Ende der Seite werden weiterhin nicht rechtsverbindlich sein (das sind nur die Amtsblatt-Veröffentlichungen). Ich nutze die Excel aber durchaus recht gerne als schnelle Vorab-Filterung, wenn ich mit mir unbekannten Normen zu tun habe (muss anschließend über die eigentlichen Amtsblätter plausibilisiert werden).

* Hängt mit explosiven Atmosphären zusammen
 
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Das bleibt spannend - ich kenne es aus der Praxis - in anderem Bereich - bereits schon so:
Ein einfacher Tarifvertrag mit vielleicht einem Dutzend Betriebsvereinbarungen kann zur echten Herausforderung werden – vor allem dann, wenn an einem Ende um kleinste Änderungen gefeilscht wird.

Übertrage ich das auf den Bereich der Normen, dann wird die Dimension noch klarer: Wir sprechen hier von einem Geflecht aus sehr allgemeinen Grundnormen (Typ A), international gültigen Standards, nationalen Regelungen, bis hin zu äußerst spezifischen C-Normen. Alle sind unterschiedlichen Alters, manche überholt, andere brandneu, und alle sollen am Ende widerspruchsfrei zusammenpassen.

Parallel dazu kommt ein zweiter Aspekt: Mit der Forderung nach freiem Zugang (den ich gut und notwendig finde) entzieht man den Normungsorganisationen zugleich ihre bisherige Finanzierungsgrundlage – ein Geschäftsmodell, das über Jahrzehnte quasi monopolartig bestanden hat.

Meine Sorge: Wenn man diese beiden Herausforderungen zusammennimmt – einerseits die schiere Komplexität der Normenlandschaft, andererseits den Umbau der Finanzierungsbasis – dann reicht es nicht mehr aus, bestehende Formulierungen zu „glätten“. Eigentlich müsste man die Sprache, mit der wir Normen definieren, komplett neu denken – fast so, als ob man eine neue „Technik-Sprache“ erfinden müsste, die frei von Zweideutigkeit ist.
 
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